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Man hört nicht mit dem Ohr allein - Auditive Wahrnehmungsschwächen als Lernhindernis im Grundschulalltag
Ein Aufsatz von Dr. Bettina Langenbruch (SVBL.6/2001 - Nichamtlicher Teil S.224)

Wenn ein Kind eingeschult wird, dann erwartet man, dass es nun lesen und schreiben (und wohl auch rechnen) lernt. So vielfältige Fragen darüber hinaus auch an die Grundschule gestellt werden - diese Ziele sind sicherlich ganz zentrale Anliegen des ersten Schulunterrichts. Die Beobachtung der gegenwärtigen Situation zeigt jedoch eine deutliche Zunahme von erheblichen Schwierigkeiten beim Erlernen von Lesen und Schreiben bei vielen unserer Kinder - die "Legasthenie" - Diskussion markiert hier wohl nur den Gipfel des Eisbergs.

Zentrale Hörverarbeitungs- und Hörwahrnehmungsschwächen, die bei einem nicht geringen Anteil unserer Schulanfänger in mehr oder weniger ausgeprägtem Maße vorliegen, sind eines der ganz wesentlichen Hindernisse auf dem Weg zum Lesen und Schreiben. Anders als motorische Entwicklungsverzögerungen oder Verhaltensauffälligkeiten werden diese diese Entwicklungsschwächen jedoch leider nur sehr selten rechtzeitig oder als eigentliche Hörwahrnehmungsschwächen bemerkt. Auditiv schwache Kinder gelten häufig statt dessen als minderbegabt, verhaltensgestört oder aufmerksamkeitsschwach - die Reaktion der Umgebung ist meist aus Sicht der Kinder unangemessen im Sinne von lediglich "mehr Druck' und führt allenfalls zu einer dann als sekundär zu bezeichnenden Verhaltensstörung. Diese Verhaltensstörungen unterliegen einer im Einzelfall gut verständlichen Psvchodynamik, belasten den Schulalltag für alle ganz enorm und erschweren oder verhindern gar jede gezielte Förderung und Therapie.

Das Wissen um die Entstehung und Erscheinungsbilder von Hörwahrnehmungsschwächen bei Schulkindern ist Vorraussetzung, will man diese Kinder in der eigenen Klasse erkennen, falls man nicht bereits durch die Schuleingangsuntersuchung auf die Risikokinder aufmerksam gemacht wurde. Diesen Kindern dann adäquat zu begegnen und sie nach Möglichkeit differenziert zu fördern, das ist sicher keine weitere vermeintliche Zusatzaufgabe für die Lehrkräfte. Im Gegenteil: hier haben wir es mit einer urpädagogischen Herausforderung zu tun, der man sich nicht entziehen kann, bei deren Bewältigung aber zumindest zwei lohnende Ziele winken. Zunächst entspannt sich die Situation für das einzelne auditiv schwache Kind und auch für die Lehrkraft, wenn diese weiß: "Hänschen kann unter bestimmten Bedingungen auch beim besten Willen nicht wirklich hören, was ich sage. Das hat nichts mit seiner Motivation oder meiner Unfähigkeit zu tun." Werden die sekundären Verhaltensprobleme auch nur teilweise verhindert, so dürften dies schon den Grundschulalltag deutlich entlasten. Zum Anderen unterliegt die kindliche Hörwahrnehmung einem Reifungsprozess, der nicht mit Schulbeginn abgeschlossen ist. Bei sinnvoller Förderung können Defizite in diesem Bereich noch in erstaunlichem Maße aufgefangen werden und so mit dem Kinde eine echte Lern-Basis erarbeitet werden.

Dieser Beitrag soll den gegenwärtigen Erkenntnisstand zum Thema der zentralen Hörverarbeitungs- und Hörwahrnehmungsstörungen, vereinfachend hier .auditive Wahrnehmungsschwäche" genannt, aus schulärztlicher Sicht zusammenfassen, einen Ausschnitt der umfangreichen Literatur zum Thema vorstellen und schließlich Anregungen für den Schulalltag geben, die auch als solche verstanden werden möchten (vgl. N.Lauer: Zentral-auditive Wahrnehmungsstörungen im Kindesalter. Stuttgart 2001).

Grundlagen der auditiven Wahrnehmung und der Hörbahnreifung

Bei der auditiven Wahrnehmung handelt es sich eben gerade nicht um das bloße Registrieren eines akustischen Reizes - dieser Vorgang wird mit dem Begriff "peripheres Hören" bezeichnet und zum Beispiel mittels Hörtests überprüft. Im Gegensatz dazu beschreibt die zentrale Hörwahrnehmung" die aktive und komplexe Leistung des Kindes, das diesen akustischen Reiz aufnimmt und verarbeitet. Unter "phonologischer Bewusstheit" versteht man die Fähigkeit, Reime zu erkennen, Sätze in Worte und Worte in Silben zu zerlegen und schließlich Phoneme zu erkennen und zu unterscheiden.

Wenngleich man nicht mit dem Ohr alleine hört, so läuft doch hier der erste Schritt des Hörvorgangs ab. Das Trommelfell, das den Übergang vom äußeren zum Mittelohr markiert, wird durch die von uns als "Schall" empfundenen Druckwellen in Schwingungen versetzt. Diese Schwingungen sollen dann im Normalfall über die Gehörknöchelchen Hammer, Amboss und Steigbügel an die Flüssigkeit weitergegeben werden, in der das akustische Endorgan, die Schnecke, schwimmt.

Dort entstehen elektrische Impulse, Aktionspotentiale genannt, die über die entsprechenden Nervenfasern, die so genannte Hörbahn, zu den jeweiligen Großhirnarealen gelangen. Auf diesem Wege sorgt ein ausgefeiltes System von Verschaltungen für eine Modulation der Informationen und eine Verknüpfung mit Wahrnehmungen aus anderen Bereichen.

Die Reifung der Hörbahn besteht in der Anlage und Stabilisierung dieser Nervenzellverbindungen, sie beginnt bereits vor der Geburt und endet nicht vor dem achten Lebensjahr. Viele Synapsen entstehen ungezielt, sie werden anschließend auf ihre Nützlichkeit hin überprüft. Nur die Verbindungen, die auch genutzt werden, bleiben bestehen. Alle anderen werden abgebaut! Die Hörbahnreifung ist also nur zum Teil genetisch vorgegeben. Ganz entscheidend sind in der sensiblen Phase die externen Reize, denen ein Kind ausgesetzt ist. Hörreize müssen in ausreichender Qualität und regelmäßig angeboten werden (Klänge, lebendige Sprache, Rhythmen, Melodien ... ).

Ein großes Risiko für die Entstehung einer auditiven Schwäche haben sicher schwerhörige Kinder, um so mehr, je später die Hörgeräteversorgung erfolgte. Für uns ist jedoch eine andere Kindergruppe bedeutsamer, weil zahlenmäßig sehr viel größer. Es ist die Gruppe der Kinder, bei denen das Mittelohr oft und manchmal sehr lange nicht ausreichend belüftet ist (sog. Paukenergüsse, nach Luftwegsinfekten, gehäuft bei Vorliegen von Polypen, leider nicht schmerzhaft und daher oft nicht erkannt). Diese Kinder hören immer wieder über längere Zeit nicht alle Frequenzen und entwickeln oft ein ernstzunehmendes Hörerfahrungsdefizit.

Schließlich besteht hier auch für die Gruppe der Kinder ein Risiko, mit denen niemand ausreichend spricht, klatscht, singt und denen niemand vorliest.

Besondere Schwierigkeiten haben und machen erfahrungsgemäß die Kinder, bei denen mehrere der genannten Risikofaktoren zusammentreffen und in deren häuslichem Umfeld die Resourcen oftmals ganz besonders begrenzt sind.

Schließlich sei darauf verwiesen, dass "Unaufmerksamkeit gegenüber Sprache" zugleich Ausdruck und Ursache einer auditiven Schwäche sein kann und die Entwicklungsbereiche der Hörwahrnehmung und der gezielten Aufmerksamkeit eng miteinander verbunden sind.

Kompensation als Sackgasse?

Kinder mit deutlich verzögerter expressiver Sprachentwicklung, mit erheblichen motorischen Problemen oder sehr unangemessenen Verhaltensstrategien fallen in der Regel bereits im vorschulischen Alltag auf. Sehr schwerwiegende auditive: Wahrnehmungsschwächen treten selten isoliert auf; bei mäßiggradigen Störungen ist das jedoch anders. Besonders sensible und sozial begabte Kinder haben oftmals erstaunliche Fähigkeiten zur Kompensation ihrer eingeschränkten Hörwahrnehmung entwickelt. Diese Mechanismen tragen im Vorschulbereich, im häuslichen Alltag und auch noch im Anfangsbereich der Grundschule, nämlich in der Regel, solange Wort und Handlung im engen Bezug stehen und konkrete Inhalte haben. "Zieht euch an, wir gehen raus" - hier unterstützen Gestik der sprechenden Person und Handlung der Altersgenossen den gesprochenen Inhalt. Das ändert sich, je abstrakter die Inhalte werden und je weniger an den Handlungen der anderen die Anweisung der Lehrerin ablesbar wird: "Schlagt Seite 13 auf und löst die oberen beiden Aufgaben im Heft“, eventuell erschwerend von hinten gesprochen und teilweise im Geräuschgarten der Mitschüler verschwunden - für ein auditiv schwaches Kind ist diese Anweisung u.U. nicht zu hören.

Die Kompensation einer bestehenden Schwierigkeit ist eine wichtige Leistung und muss dann trainiert und unterstützt werden, wenn es keine gute Alternative gibt. In Bezug auf die auditive Wahrnehmung jedoch führen die kindlichen Kompensationsstrategien in eine Sackgasse, weil sie die Erkennung des eigentlichen Problems erschweren.

Diese Strategien verlangen von den Kindern ungeheure Anstrengungen und führen spätestens ab der 2./3. Grundschulklasse nicht mehr zum Erfolg. So sind die Kinder massiv in der Schule und zu Hause für sie unangemessenen Reaktionen und fast immer einem sehr schnell steigenden Druck ausgesetzt und reagieren darauf zum großen Teil und völlig verständlich mit „Verhaltensauffälligkeiten" nach persönlicher Prägung.

Hinweise im Alltag auf auditive Schwächen

Selbstverständlich gibt es anamnestische Hinweise, erfragbare oder beobachtbare Verhaltensweisen, die den Blick auf eine eventuell vorliegende Hörwahrnehmungsschwäche lenken sollten:

Im Alltag oder in der vorschulischen Einrichtung:

Im Grundschulunterricht:

Die Kinder

Die sehr umfangreiche Literatur zum Thema der Wahrnehmungsschwäche im Grundschulalltag wird sehr zutreffend bei Herbert Günther zusammengefasst, der u.a. differenziert auch Beobachtungsbögen verschiedener Autoren vorstellt (H. Günther: Wahrnehmungsauffällige Kinder in der Grundschule. Klett Forum Grundschule 1998).

So wichtig es einerseits ist, diese Bereiche aufmerksam zu beobachten, so wichtig ist es andererseits, eine Beobachtung nicht unbesehen mit einer „Diagnose“ gleichzusetzen. Ganz wesentlich erscheint es jedoch, so früh wie möglich, allerspätestens unmittelbar vor Beginn des Lese-Schreib-Lehrgangs eine mögliche auditive Schwäche festzustellen, damit keine unangemessenen Reaktionen sekundäre Verhaltensprobleme provozieren und damit das eigentliche Lernen und Fördern erschweren oder gar verhindern.

Möglichkeiten der Diagnostik und Therapie im Einzelfall

Bei Verdacht auf das Vorliegen einer schwerwiegenden zentralen Hörwahrnehmungs- und Hörverarbeitungsschwäche ist im Einzelfall sicherlich eine umfassende ärztlich-psychologische Diagnostik erforderlich. Neben der Feststellung des allgemeinen Lern- und Leistungsprofils (bei deutlich minderbegabten Kindern wird man keine altersentsprechend normale Hörwahrnehmung fordern können) muss ein wesentliches Aufmerksamkeitsproblem ausgeschlossen sein. Aufmerksamkeitsschwächen interferieren selbstverständlich mit vielen Unterbereichen der Hörwahrnehmung, wobei im Einzelfall zu klären ist, welches die übergeordnete Störung ist.

Es kommen dann bei intaktem peripheren Hörvermögen eine Vielzahl von Verfahren zum Einsatz, die neben vielen anderen Teilbereichen das Richtungshören, das dichotische Hören (,Zusammenhören" von seitendifferenten Hörreizen), die auditive Differenzierung (Unterscheidung ähnlich klingender Laute) und die auditive Selektion (Sprachverständnis im Störgeräusch) überprüfen. Schließlich verwendet man auch sogenannte psychometrische Verfahren, die die Erfahrungen im Umgang mit Lautfolgen und Sprache überprüfen, die immer an die jeweilige Situation des Kindes angepasst sein müssen (Alter, Muttersprache ... ). Eine solide Diagnostik ist unter bestimmten Voraussetzungen erforderlich, aber sehr aufwendig; die entsprechenden Praxen und Zentren haben naturgemäß eine begrenzte Kapazität, so dass mit erheblichen Wartezeiten zu rechnen ist. Die nach Diagnosestellung einzuleitenden therapeutischen Maßnahmen müssen, wenn sie aus unserer Sicht sinnvoll sein sollen, von vornherein klar strukturiert und im Umfang begrenzt sein und ganz wesentlich die häusliche Mitarbeit der Eltern fordern. Das Ziel dieser Maßnahmen soll die Förderung der Hörwahrnehmung im Sinne der phonologischen Bewusstheit sein, nicht die Übernahme der pädagogischen Aufgaben beim Erlernen von Lesen und Schreiben.

Notwendigkeit der „Früh" erkennung vor Schulbeginn

Diese hoch differenzierte und in jeder Hinsicht aufwendige Diagnostik und Therapie in Spezialeinrichtungen ist für eine kleine Gruppe von Kindern sicher unerlässlich, kann jedoch nicht die Problematik für große Kinderzahlen lösen und findet zur Zeit auch leider sehr häufig erst viel zu spät statt. Die auditive Schwäche eines Schulanfängers ist zwar oft mit verursachend für die folgende Lernproblematik, mindestens ebenso bedeutend sind jedoch die ungünstigen Erfahrungen, die das Kind unter Umständen in der Schule und zu Hause macht. Um dies zu verhindern, muss ein Entwicklungsproblem in diesem Bereich allerspätestens vor Schulbeginn erkannt werden. So erhebt sich die Forderung, im Sinne eines Screening-Verfahrens alle Kinder vor Schulbeginn auch auf ihre Hörwahrnehmung zu untersuchen. Diese Forderung muss man sinnvollerweise an eine gute Schuleingangsuntersuchung stellen.

Mit der Einführung des standardisierten Untersuchungsprogramms SOPHIA (Sozialpädiatrisches Programm Hannover - jugendärztliche Aufgaben) im Jahr 1997/98 wurden für unseren jugendärztlichen Dienst ganz wesentliche Qualitätsansprüche verpflichtend akzeptiert. Unter anderem handelt es sich um die einheitliche Untersuchung nach gemeinsamen Arbeitsrichtlinien, um eine Untersuchung im Teilleistungsbereich, eine EDV-gestützte Auswertung der anonymisierten Daten, eine amtsinterne Qualitätskontrolle bis hin zur Berichterstattung auf regionaler und überregionaler Ebene neben der differenzierten individuellen Information von Eltern und aufnehmender Grundschule.

Ergebnisse der Schuleingangsuntersuchungen

Mit „Teilleistungsdiagnostik" ist die in einem Untersuchungsitem zusammengefasste Überprüfung der visuomotorischen Koordination und der auditiven Wahrnehmung gemeint. Zur Überprüfung im Sinne einer Screening-Untersuchung braucht man Verfahren, die bei vertretbarem Aufwand verlässlich in der Aussage sind und gerade im unteren Leistungsbereich gut zwischen übungsbedürftigen und therapiebedürftigen bzw. spezifisch kontrollbedürftigen Befunden unterscheiden. Wir verwenden für die visuomotorische Koordination den VSRT (Visuomotorischer Schulreifetest nach Esser und Stöhr) und für die auditive Wahrnehmung Untertests aus dem psycholinguistischen Entwicklungstest (PET) nach Angermaier (Zahlenfolgengedächtnis und Wörter ergänzen) sowie alternativ bzw. ergänzend den Mottier-Test.

Ohne wesentliche Veränderungen von 1998-2000 erzielten hier bei Jahrgangsstärken von etwa 3500 Kindern jeweils etwa 70 Prozent der Kinder altersentsprechend normale Ergebnisse. Jeweils sechs bis sieben Prozent der Kinder erhielten zum Zeitpunkt der Schuleingangsuntersuchungen bereits eine entsprechende Therapie oder spezifische Fördermaßnahmen; bei knapp fünf Prozent war der Befund aus Sicht der Schulärzte dringend kontroll- beziehungsweise therapiebedürftig, ohne vorher jemals als Problem genannt worden zu sein. Diese Einschätzung wurde durch die niedergelassenen Kollegen in deutlich über 80 Prozent bestätigt.

Bei knapp 20 Prozent der Kinder war die Entwicklung in diesen in hohem Maße schulrelevanten Bereichen zwar nicht aktuell therapiebedürftig, aber sicher nicht altersentsprechend. Diese Kinder bedürfen der besonders sorgfältigen Beobachtung und stellen an ihre Pädagogen erhöhte Ansprüche.

Zusammenfassend stellen wir fest, dass etwa zehn Prozent der Schulanfänger im Bereich der Wahrnehmungsentwicklung therapiebedürftig erscheinen und weitere 20 Prozent zumindest nicht altersentsprechend entwickelt sind. Diese Zahlen decken sich durchaus mit denen anderer Autoren und geben berechtigterweise Anlass zur Sorge.

Folgerungen für den Grundschulalltag

In Anbetracht dieser Zahlen ist aus unserer Sicht klar, dass sich insbesondere der Anfangsunterricht auf diese Bedingungen einstellen muss. Das bezieht sich sowohl auf den Umgang mit dem einzelnen, als auditiv schwach identifizierten Kind, als auch auf die gesamte Klasse, in der ja ein großer Teil der Kinder diesbezüglich besonderer Unterstützung bedarf.

Ganz allgemein - das ist wohl eine Binsenweisheit - fällt diesen Kindern in einer kleinen Gruppe alles leichter. Bei einer vorgegebenen Klassengröße kann aber die Lernatmosphäre sehr unterschiedlich "ruhig" sein. Akustische Hygiene schont nicht nur die Kräfte der Pädagogen, sondern unterstützt besonders die Risikokinder. Ganz wesentliche Elemente in Hinsicht auf die Kindergruppe sind klare Strukturen im Sinne von Handlungsbeginn - Handlungsbogen - Handlungsende, rhythmisierte Abläufe (Anspannung - Entspannung) nach wiedererkennbaren Regeln, Kontinuität und Wiederholung. Visualisierung von wichtigen Informationen einerseits und Schutz vor Überflutung durch visuelle Reize andererseits (Medieneinsatz!) sind unabdingbar. Für die Kindergruppe ist eine Vielzahl von Fördermöglichkeiten im nichtsprachlichen Bereich (Klänge - Geräusche - Rhythmen) und im sprachgebundenen Bereich (Singen, Reim- und Sprachspiele), jeweils auch in Verbindung mit Bewegungen denkbar, die letztlich die sogenannte phonologische Bewusstheit fördern helfen. Dem einzelnen auditiv schwachen Kind kann die Lehrerin oder der Lehrer helfen, wenn die wichtigen Informationen in der Nähe des Kindes und ihm zugewandt gegeben werden, unter Umständen unterstützt durch Visualisierung, durch kurze Berührung, in deutlicher und ausreichend lauter Sprache. Gerade diese Kinder sitzen erfahrungsgemäß früher oder später ganz hinten im Klassenzimmer, obwohl sie besondere Probleme mit der Störgeräuschunterdrückung haben - selbst beim besten Willen können sie oft der Stimme der Lehrerin über das "normale“ Geraschel und Getuschel hinweg nicht folgen.

Bei Gruppengesprächen ist eine gute Gesprächsdisziplin (nicht nur für die auditiv Schwachen!) sehr wichtig; zentrale Aussagen und Arbeitsanweisungen sollten von der Lehrerin oder dem Lehrer deutlich wiederholt werden. Durch Nachfragen kann sich die Lehrkraft vergewissern, ob die Anweisung oder Hausaufgabe etc. beim Kind angekommen ist. Umgekehrt sollte das Kind immer ermutigt und bestärkt werden, nachzufragen, wenn es etwas nicht verstanden hat. Hier sind für das Kind viel Einsicht und Mut erforderlich, sich aus der lange gepflegten Deckung zu wagen. Mangelnde Mitarbeit sollte nicht als Unwilligkeit oder mangelnde Leistungsbereitschaft abgetan werden.

Die Eltern sind selbstverständlich ganz wichtige Kooperationspartner. So wichtig die Intervention im häuslichen Bereich ist, so begrenzt scheint sie oft jedoch auch. Wichtige Punkte im Elterngespräch sind Hinweise auf die allgemeine Strukturierung des Tagesablaufes, auf Kontinuität und Verlässlichkeit, auf den Medienkonsum (rigoros begrenzen!), das Vorlesen als Investition in die Zukunft des Kindes und das echte Gespräch mit dem Kinde ohne Zeitdruck.

Präventionsprogramme für Vorschulkinder

An dieser Stelle sollte auch der Hinweis auf klar strukturierte präventive Förderkonzepte zum Training der auditiven Wahrnehmung nicht fehlen.

Das Würzburger Trainingsprogramm (Hören, Lauschen, Lernen) ist zum Beispiel für den Einsatz im letzten halben Jahr vor Schulbeginn konzipiert. Der Gebrauch im Grundschulalltag ist grundsätzlich möglich und sollte, wo im vorschulischen Bereich nichts Entsprechendes stattfindet, ganz ernsthaft erwogen werden. Aus vielerlei Gründen scheint jedoch der Erfolg im Vorschulbereich deutlich besser zu sein, so dass sich hier für die Grundschule eine intensive Zusammenarbeit mit den jeweiligen vorschulischen Einrichtungen empfiehlt. Durch das regelmäßige spielerische Üben (täglich etwa zehn Minuten für ein halbes Jahr) gewinnen die Kinder offensichtlich eine deutlich größere auditive Sicherheit im Sinne der phonologischen Bewusstheit bis hin zu statistisch nachweisbaren positiven Effekten für den Lese-Schreib-Lehrgang.

In Schleswig-Holstein beginnt im Sommer 2001 ein auf diesem Trainingsprogramm basierendes, landesweites Förderprojekt für Kinder in vorschulischen Einrichtungen.

Informationen unter www.lernnetz-sh.de/foerdephon.

Zusammenfassung und Ausblick

In Anbetracht der zentralen Stellung der auditiven Wahrnehmung für den Schriftspracherwerb, der Risiken für mögliche Störungen und der derzeitigen Voraussetzungen bei unseren Schulanfängern, muss sich eine den Kindern angemessene Grundschulpädagogik methodisch und didaktisch diesem Problembereich stellen.

Spätestens vor Schulbeginn sollte bei allen Kindern zumindest, mit einem Screening-Verfahren die Hörwahrnehmung überprüft werden, damit die Umgebung sinnvoll reagieren kann und Sekundärprobleme möglichst verhütet werden.

Für einzelne Kinder ist sicher eine spezifisch ärztlich - psychologische Diagnostik und Therapie erforderlich. Dieser „Reparaturbetrieb draußen vor der Klassentür" kann und soll jedoch nicht die weniger gravierenden, aber weitaus häufigeren Entwicklungsschwächen auffangen. Diese Aufgabe kommt dem Regelbetrieb zu, wobei dies keine neuerfundene zusätzliche, sondern im Sinne des Zugang-Suchens als Voraussetzung für alle Vermittlung eine urpädagogische Notwendigkeit und Herausforderung ist.

Bei der Bewältigung dieser Aufgabe sollten alle Fachleute (die Eltern eingeschlossen) sowohl bezogen auf das einzelne Kind als auch im konzeptionellen Sinne eng und vertrauensvoll zusammenarbeiten. Besondere Bedeutung kommt der Vorbereitung im vorschulischen Bereich zu.

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