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Umgang mit krank, verletzt oder hilflos aufgefundenen wild lebenden Tieren in den Wattenjagdbezirken
RdErl. d. ML v. 27.1.2004 - 204.1-42500/0-403, 42506-54 (Nds.MBl. Nr.8/2004 S.167) - VORIS 78530 -

1. Befugnisse und Pflichten

1.1 Der §1 des Tierschutzgesetzes verbietet es, Tieren ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zuzufügen. Dieser Grundsatz gilt auch, wenn krank, verletzt oder hilflos aufgefundenen wild lebenden Tieren*) durch eine sachgerechte Behandlung oder ggf. Tötung weitere Schmerzen oder Leiden erspart werden sollen.

1.2 Für wild lebende Tiere, die dem Jagdrecht unterliegen (Wild), ist die oder der Jagdausübungsberechtigte verpflichtet, zur Bewahrung vor vermeidbaren Schmerzen oder Leiden schwer krankes Wild - sofern es genügt und möglich ist - zu fangen und zu versorgen: Andernfalls ist es unverzüglich zu erlegen (§22a des Bundesjagdgesetzes).

In den Wattenjagdbezirken nach §6 NJagdG obliegt diese Verpflichtung den nach §18 Abs.3 und 4 NJagdG bestellten und hoheitlich bestätigten Wattenjagdaufseherinnen und Wattenjagdaufsehern, für die auch die Bestimmungen betreffend die Wildfolge gelten (vgl. §27 Abs.5 und 7 NJagdG).

1.3 Nach §43 Abs.6 des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) darf jedermann kranke, verletzte oder hilflose Tiere nicht jagdbarer, wild lebender Arten aufnehmen und in eine nach dem Landesrecht bestimmte anerkannte Betreuungsstation für verletzte Tiere abgeben.

2. Melde- und Abgabestellen

Um unter Berücksichtigung der tierschutz-, jagd- und naturschutzrechtlichen Vorgaben, der Staatszielbestimmung „Tierschutz”, der Zielstellung des Artenschutzes und der Besonderheiten im Küstenbereich (vermehrtes Vorkommen verölter Vögel) den Schutz der wild lebenden Tiere vor vermeidbaren Schmerzen und Leiden sowie die Ziele des Naturschutzes weitestgehend sicherzustellen, werden die BezReg Lüneburg und Weser-Ems gebeten, gemeinsam mit den für Tierschutz, Jagd und Naturschutz zuständigen kommunalen Behörden wie folgt zu verfahren:

2.1 Die BezReg erstellen eine Liste von Stellen und sachkundigen Personen, bei denen krank, verletzt oder hilflos aufgefundene wild lebende Tiere abgegeben bzw. die über das Auffinden dieser Tiere benachrichtigt werden können.

2.2 Diese Liste der Stellen und sachkundigen Personen soll bei den Landkreis-, Gemeinde- und Kurverwaltungen, der Nationalparkverwaltung, den Polizeidienststellen und anderen wichtigen öffentlichen und ehrenamtlich arbeitenden Einrichtungen hinterlegt und in geeigneter Weise der Bevölkerung bekannt gemacht werden. Die ständige Erreichbarkeit einer Stelle oder sachkundigen Person für Bürgerinnen und Bürger, die den Fund eines versehrten Tieres melden wollen oder ein aufgefundenes Tier abgeben wollen, soll sichergestellt sein.

2.3 Die Seehundaufzucht- und Forschungsstation, Vogelpflegestation Norddeich ist staatlich anerkannte Stelle i.S. des §43 Abs.6 BNatSchG. Alle abzugebenden Tiere nach Nummer 2.1 sollen - ggf. nach einer Erstversorgung - der Seehundaufzucht- und Forschungsstation, Vogelpflegestation Norddeich zugeführt werden.

3. Sachkundige Personen

Es soll sichergestellt werden, dass krank, verletzt oder hilflos aufgefundene wild lebende Tiere nur von sachkundigen Personen versorgt werden.

3.1 Als sachkundige Personen gelten geschulte Wattenjagdaufseherinnen und Wattenjagdaufseher und andere Personen, die nachweislich hinreichend im Umgang mit krank, verletzt oder hilflos in den Wattenjagdbezirken aufgefundenen wild lebenden Tieren geschult worden sind.

3.2 Die Schulung der vorgenannten sachkundigen Personen wird durch die BezReg Weser-Ems im Einvernehmen mit der Seehundaufzucht- und Forschungsstation, Vogelpflegestation Norddeich unter Beteiligung des Veterinäramtes des Landkreises Aurich und des Tierschutzdienstes beim LAVES durchgeführt. Dabei ist der aktuelle Kenntnisstand auch aus anderen Staaten (USA, Großbritannien usw.) zu berücksichtigen.

3.3 Die Schulung der in Nummer 3.1 genannten Personen muss u.a. nachstehende Themen behandeln:

3.3.1 Unterrichtung über jagd-, natur-, tierschutz- und waffenrechtliche Fragen;
3.3.2 Voruntersuchung aufgefundener Tiere und Entscheidung über die Zuführung zu einer Behandlung oder die Notwendigkeit einer sofortigen, ordnungsgemäßen Tötung (siehe Anlage);
3.3.3 Aufzeichnung über Fund der Tiere und Ergebnis der Voruntersuchung;
3.3.4 im Fall der Tötung Auswahl der geeigneten tierschutzgerechten Tötungsmethode;
3.3.5 im Fall der Behandlung:
- Erstversorgung der Tiere;
- sach- und artgerechter Transport in die Seehundaufzucht- und Forschungsstation, Vogelpflegestation Norddeich;
- Versorgung und Rehabilitation in der Station;
- Aufzeichnungen über Anzahl der eingelieferten Tiere, Behandlung, Behandlungserfolg, ggf. Anzahl der verendeten Tiere;
- sachgerechte Auswilderung.

3.4 Die sachkundigen Personen nach Nummer 3.1 entscheiden,

a) ob für die aufgefundenen Tiere noch eine Rettungsmöglichkeit besteht und tragen - ggf. nach einer Erstversorgung - dafür Sorge, dass die Tiere sachkundig und artgerecht in die Seehundaufzucht- und Forschungsstation, Vogelpflegestation Norddeich gebracht werden oder
b) ob die aufgefundenen Tiere zur Vermeidung weiterer Schmerzen, Leiden oder Schäden tierschutzgerecht getötet werden müssen. Das Töten jagdbarer Tiere mit der Schusswaffe darf ausschließlich durch Wattenjagdaufseherinnen und Wattenjagdaufseher erfolgen. Das Töten nicht jagdbarer Tiere mit der Schusswaffe soll ausschließlich den Wattenjagdaufseherinnen und Wattenjagdaufsehern vorbehalten sein; hierzu bedürfen diese einer waffenrechtlichen Schießerlaubnis.
c) über Vorkehrungen für den Fall einer Ölkatastrophe
Die sachkundigen Personen i.S. der Nummer 3.1 sollen im Fall einer Ölkatastrophe als Multiplikatoren und zur Anleitung ehrenamtlicher, freiwilliger Helferinnen und Helfer eingesetzt werden.

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*) Als krank, verletzt oder hilflos aufgefundene wild lebende Tiere i. S. dieses RdErl. gelten auch verölte Seevögel.


Anlage

Abwägungskriterien beim Auffinden kranker, verletzter oder hilfloser wild lebender Tiere in den Wattenjagdbezirken

Grundsatz

Für wild lebende Tiere kann das Leben in Gefangenschaft mit großen Belastungen verbunden sein, die nicht selten zu erheblichen Leiden bei den Tieren führen können. Ziel der Aufnahme und Behandlung krank, verletzt oder hilflos aufgefundener wild lebender Tiere muss es daher sein, diese nach einer Behandlung möglichst schnell wieder auswildern zu können. Insofern ist in jedem Einzelfall abzuwägen, ob das Aufnehmen, der Transport zur Seehundaufzucht- und Forschungsstation, Vogelpflegestation Norddeich und die erforderliche Behandlung des Tieres eine Wiederherstellung des ungestörten Gesundheitszustands wahrscheinlich werden lassen. Im Fall seltener Arten kann jedoch auch die Aufnahme und Versorgung dauerhaft beeinträchtigter Exemplare sinnvoll sein, um sie für spätere Zuchtprogramme einzusetzen.

Die Entscheidung, ob Tiere zur Pflege aufgenommen oder getötet werden sollen, ist auf der Grundlage nachstehender Abwägungskriterien zu treffen:

Geringe oder keine Chancen auf eine Wiederherstellung, Wiederansiedlung oder Einsatz in Zuchtprogrammen haben Tiere, bei denen folgende Merkmale hochgradig ausgeprägt sind oder in Kombination auftreten:

- kompliziert gebrochene Gliedmaßen (besonders neben oder an einem Gelenk);
- unheilbare Verletzungen des Kopfbereichs oder des Schnabels;
- unheilbare tiefe und umfangreiche Verletzungen an den Weichteilen;
- Anzeichen fortgeschrittener Infektionskrankheiten wie blutige oder schleimige Ausflüsse aus Augen, Nase, Schnabel oder Schnauze, feuchte oder gurgelnde Atemgeräusche, wässriger oder blutiger Durchfall oder auffallende neurologische Anzeichen;
- weit fortgeschrittene Austrocknung des Körpers.

Zusätzlich zu den oben angeführten klinischen Symptomen ist das Verhalten der Tiere zu beurteilen (Aufmerksamkeit des Tieres; Reaktion auf Reize wie Berührungen und anderes).

Stellt die geschulte, sachkundige Person fest, dass bei den aufgefundenen Tieren, keine oder nur sehr geringe Chancen auf Wiederherstellung, Wiederansiedlung oder Zuchteinsatz bestehen, sollen die Tiere möglichst sofort und sachgerecht getötet werden.

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