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Anwendung des § 31a Abs. 1 BtMG und Bearbeitung von Ermittlungsverfahren in Strafsachen gegen Betäubungsmittelkonsumenten
Gem. RdErl. d. MJ u. d. MI v. 7.12.2012 - 4208-401.83 (Nds.MBl. Nr.46/2012 S.1253) - VORIS 33210 -
Bezug:

a) AV v. 22.11.1976 (Nds.Rpfl. S.250), zuletzt geändert durch AV v. 6.3.2012 (Nds.Rpfl. S.199) - VORIS 33300 00 00 00 003 -
b) Gem. RdErl. v. 21.2.2007 (Nds.MBl. S.235) - VORIS 33210 -

1. Vorbemerkung

Nach § 31a Abs. 1 BtMG kann die Staatsanwaltschaft ohne Zustimmung des Gerichts von der Verfolgung eines Vergehens nach § 29 Abs. 1, 2 oder 4 BtMG absehen, wenn

„die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre, kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht und der Täter Betäubungsmittel lediglich zum Eigenverbrauch in geringer Menge anbaut, herstellt, einführt, ausführt, durchführt, erwirbt, sich in sonstiger Weise verschafft oder besitzt.”

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschl. vom 9.3.1994 - 2 BvL 43/92 (NJW 1994 S.1577) - zur Verfassungsmäßigkeit des geltenden Betäubungsmittelstrafrechts ausgesprochen:

„...3. Soweit die Strafvorschriften des Betäubungsmittelgesetzes Verhaltensweisen mit Strafe bedrohen, die ausschließlich den gelegentlichen Eigenverbrauch geringer Mengen von Cannabisprodukten vorbereiten und nicht mit einer Fremdgefährdung verbunden sind, verstoßen sie deshalb nicht gegen das Übermaßverbot, weil der Gesetzgeber es den Strafverfolgungsbehörden ermöglicht, durch das Absehen von Strafe (vgl. § 29 Abs. 5 BtMG) oder Strafverfolgung (§§ 153 ff. Strafprozessordnung [StPO], § 31a BtMG) einem geringen individuellen Unrechts- und Schuldgehalt der Tat Rechnung zu tragen. In diesen Fällen werden die Strafverfolgungsorgane nach dem Übermaßverbot von der Verfolgung der in § 31a BtMG bezeichneten Straftaten grundsätzlich abzusehen haben.”

Das Bundesverfassungsgericht hat ferner darauf hingewiesen, dass die Länder verpflichtet sind, für eine im Wesentlichen einheitliche Einstellungspraxis der Staatsanwaltschaften zu sorgen.

Die nachfolgenden Hinweise tragen diesem Auftrag Rechnung und berücksichtigen sowohl den Umstand, dass einerseits Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz grundsätzlich kriminelles Unrecht darstellen und aus Gründen des Legalitätsprinzips (§ 152 Abs. 2 StPO) eine konsequente Strafverfolgung notwendig machen, andererseits § 31a BtMG den Strafverfolgungsbehörden die Möglichkeit eröffnet, differenziert auf Drogendelinquenz zu reagieren, um den Betäubungsmittelhandel (einschließlich des Klein- und Straßenhandels) von den nicht handelnden Rauschgiftkonsumenten in der justiziellen Reaktion abzugrenzen.

Damit werden die Ziele verfolgt,

a) durch Entlastung der Staatsanwaltschaft und der Polizei bei Erwerb oder Besitz geringer Mengen zum Eigenverbrauch die Möglichkeit zu eröffnen, die Ressourcen auf die Bekämpfung des organisierten Betäubungsmittelhandels zu konzentrieren,
b) dadurch zugleich der Penalisierung des therapiebedürftigen Betäubungsmittelkonsumenten durch die Strafverfolgung zu begegnen.

2. Hinweise zur Anwendung des § 31a BtMG durch die Staatsanwaltschaften

2.1 Geringe Mengen zum Eigenverbrauch

2.1.1 Bezieht sich die Tat auf den Umgang mit Cannabisprodukten ausschließlich zum Eigenverbrauch in einer Bruttomenge von nicht mehr als sechs Gramm und verursacht die Tat keine Fremdgefährdung, so kann die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren gemäß § 31a BtMG einstellen.

2.1.2 Dies gilt nicht, sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Umgang mit Betäubungsmitteln einem anderen Zweck als dem gelegentlichen Eigenkonsum, insbesondere dem Handeltreiben, dient.

2.1.3 In den Verfahren, die den Umgang mit anderen unerlaubten Betäubungsmitteln (Heroin, Kokain usw.) betreffen, kommt eine Anwendung von § 31a BtMG nur in Ausnahmefällen in Betracht. Die Staatsanwaltschaft entscheidet über das Absehen von der Verfolgung nach den Umständen des Einzelfalles.

2.2 Geringe Schuld

Eine geringe Schuld i.S. des § 31a BtMG kann grundsätzlich angenommen werden, wenn eine Betäubungsmittelabhängigkeit nicht auszuschließen ist. Eine Verurteilung wegen Straftaten gegen das BtMG oder die Begehung der Tat während einer laufenden Bewährungszeit muss der Annahme einer geringen Schuld nicht entgegenstehen.

Bei nicht betäubungsmittelabhängigen Beschuldigten kann eine geringe Schuld in der Regel im ersten oder zweiten Fall angenommen werden, während bei wiederholtem Antreffen mit unerlaubten Betäubungsmitteln eine Einstellung nach § 31a BtMG nur ausnahmsweise, etwa bei Vorliegen eines größeren Tatzwischenraumes, sowie unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Übermaßverbots in Betracht kommt.

2.3 Öffentliches Interesse an der Strafverfolgung

Ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht in Anlehnung an die in Nummer 86 des Bezugserlasses zu a (Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren) niedergelegten Grundsätze in der Regel, wenn der Rechtsfrieden über den Lebenskreis der von der Tat Betroffenen hinaus gestört ist und die Strafverfolgung ein gegenwärtiges Anliegen der Allgemeinheit ist. Dies ist insbesondere der Fall, wenn

2.3.1 Drogen in einer Weise gebraucht werden, die eine Verführungswirkung auf nicht abhängige Kinder, Jugendliche und Heranwachsende hat,
2.3.2 Drogen in der Öffentlichkeit ostentativ, vor besonders schutzbedürftigen Personen (z.B. Kindern oder Jugendlichen) sowie vor oder in Einrichtungen und Anlagen, die regelmäßig von diesen Personen genutzt oder aufgesucht werden (insbesondere Kindertagesstätten, Kindergärten, Spielplätzen, Schulen, Jugendheimen, Jugendwohnungen oder Bahnhöfen) erworben oder konsumiert werden,
2.3.3 die Handlung durch Personen begangen wurde, welche in diesen Einrichtungen tätig oder mit dem Vollzug des BtMG beauftragt sind,
2.3.4 die Tat nachteilige Auswirkungen auf die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs befürchten lässt oder
2.3.5 die Tat in Justiz- oder Maßregelvollzugsanstalten oder Kasernen begangen wird.

2.4 Jugendliche und heranwachsende Beschuldigte

Die Diversionsregelungen in den §§ 45 und 47 JGG stehen der Möglichkeit einer Einstellung des Strafverfahrens nach § 31 a BtMG nicht entgegen. Die Staatsanwaltschaft prüft, ob eine Einstellung bereits nach dieser Vorschrift möglich ist. Dabei berücksichtigt sie, dass eine solche Verfahrensweise mögliche Stigmatisierungseffekte durch die Eintragung der Verfahrenseinstellung im Erziehungsregister vermeidet. Sie berücksichtigt im Rahmen der Verhältnismäßigkeit und Gleichbehandlung auch, dass bei Erwachsenen eine entsprechende Registrierung nicht erfolgt.

3. Hinweise zur Gestaltung des Ermittlungsverfahrens:

3.1 Allgemeines

Die Strafverfolgungsbehörden sind wegen des Legalitätsprinzips (§ 152 Abs. 2 StPO) verpflichtet, in jedem Fall des Verdachts einer Straftat gemäß 29 Abs. 1, 2 und 4 BtMG die Ermittlungen aufzunehmen, auch wenn die Voraussetzungen des § 31a BtMG gegeben erscheinen. Ermittlungen der Polizei sind deshalb in jedem Verdachtsfall, auch im Fall einer Erstbegehung, erforderlich, weil nur so ein späterer Wiederholungsfall, der nach Nummer 2.2 im Regelfall zur Anklage führt, als solcher erkannt werden kann.

3.2 Umfang der Ermittlungen

Die Staatsanwaltschaft wirkt kraft ihrer Zuständigkeit darauf hin, dass der Umfang der polizeilichen Ermittlungstätigkeit trotz der fortbestehenden Pflicht zur Strafverfolgung auf das unbedingt notwendige Maß reduziert werden kann.

In Verfahren, in denen die Staatsanwaltschaft voraussichtlich nach § 31a BtMG unter den in Nummer 2 genannten Voraussetzungen von der Strafverfolgung absehen wird, ist es in der Regel ausreichend, wenn die Polizei die Art und das Gewicht des Betäubungsmittels feststellt. Eine Bestimmung von sichergestellten Betäubungsmittelsubstanzen durch eine kriminaltechnische Untersuchung ist grundsätzlich verzichtbar. Im Zweifel führt die Polizei einen Vortest durch. Betäubungsmittel sowie ggf. Konsumgegenstände sind sicherzustellen. Ferner ist eine Beschuldigtenvernehmung, insbesondere zur Konsumverhaltensweise, der Betäubungsmittelherkunft (Dealer) sowie ggf. zur Frage des Verzichts auf die Rückgabe sichergestellter Gegenstände angezeigt. Weitere Ermittlungsmaßnahmen - z.B. Zeugenvernehmung, Durchsuchung oder kriminaltechnische Untersuchung - werden in der Regel nicht notwendig sein. Bestehen Zweifel über die Anwendbarkeit des § 31a BtMG, entscheidet die Staatsanwaltschaft darüber, ob auf weitere Ermittlungsmaßnahmen verzichtet werden kann. In der Übersendungsverfügung an die Staatsanwaltschaft vermerkt die Polizei einen ggf. bestehenden Verdacht auf das Vorliegen einer Betäubungsmittelabhängigkeit.

3.3 Einbeziehung der sozialen Dienste

Die Staatsanwaltschaft prüft in geeigneten Fällen unter Einschaltung der Gerichtshilfe oder der Jugendgerichtshilfe, ob Maßnahmen der Beratung, Therapie oder sonstigen sozialen Stabilisierung angezeigt sind. Dabei ist namentlich auch bei höheren als den in Nummer 2.1 genannten Bruttogewichtsangaben zu prüfen, ob die Durchführung dieser Maßnahmen ein öffentliches Interesse an der weiteren Strafverfolgung entfallen lassen (§§ 153, 153a StPO, § 31a BtMG) oder bei fortbestehendem öffentlichem Interesse ein Absehen von der Anklageerhebung ermöglichen kann (§ 153b StPO i.V.m. § 29 Abs. 5 und § 37 Abs. 1 BtMG).

4. Schlussbestimmungen

Dieser Gem. RdErl. tritt am 1.1.2013 in Kraft und mit Ablauf des 31.12.2018 außer Kraft. Der Bezugserlass zu b tritt mit Ablauf des 31.12.2012 außer Kraft.

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